Unser
Kerngruppen-Mitglied Jasmin Khalifa beleuchtet mit Christian Etter, Experte für
Klimaschutz, wie wissenschaftlich fundierte Klimaziele der erste Schritt in
Richtung Doughnut Economics sein können.
Christian Etter hat sich
nach dem HSG-Studium auf Corporate Sustainability fokussiert und ist seit
mehreren Jahren als Experte für Klimaschutz tätig. Zuletzt hatte er bei der
Migros wissenschaftlich fundierte Klimaziele entwickelt und diese durch die
Science-Based Target Initiative (SBTi) validieren lassen. Diese Ziele markieren
gemäss Christian einen konkreten Schritt im Umgang mit den planetaren Grenzen –
und stehen in engem Zusammenhang mit den Prinzipien von Doughnut Economics. Wir
freuen uns, von Christian zu hören, wie er die Verbindung zwischen diesen
Konzepten sieht – und was Unternehmen aus seiner Sicht tun können, um
innerhalb ökologischer und sozialer Grenzen zu wirtschaften – mit einem klaren
und machbaren Einstiegspunkt.
Christian, welchen Bezug hast du zum Donut – und wie
beeinflusst das Modell dein Denken?
Der Donut ist für mich der
Orientierungsrahmen, um wirtschaftliche Entwicklung mit ökologischen und
sozialen Zielsystemen zu verknüpfen. Er konkretisiert die Triple Bottom Line –
also die ökologische, soziale und wirtschaftliche Verantwortung eines
Unternehmens – und liefert alle relevanten Kriterien. So beispielsweise zum
Klima, wofür es wiederum wissenschaftlich basierte Klimaziele gibt. Sie zeigen,
wie viel CO₂ ein Unternehmen bis zu klar definierten Meilensteinen noch
ausstossen darf, um mit dem Pariser Abkommen kompatibel zu bleiben. Bei der
Migros habe ich solche Ziele entwickelt. Daraus lässt sich ableiten, wie viele
Emissionen 2030 und 2050 noch ausgestossen werden dürfen. Dank dieser klaren
Absenkpfade können wir heute schon relativ konkret beschreiben, wie
Geschäftsmodelle künftig aussehen müssen – etwa mit pflanzenbasierten Sortimenten im Food-Bereich oder durch
Kreislaufschliessung in der Elektronik. Das macht die eher komplexe Thematik
greifbar.
Warum ist gerade der Klimabereich ein guter Startpunkt?
Weil wir hier eine solide Datengrundlage, eine gemeinsame Währung (alle
klimaschädlichen Treibhausgase werden in CO₂-Äquivalente umgerechnet) und
praxistaugliche Methoden haben. Die Zielsetzung lässt sich global aus dem
verbleibenden CO₂-Budget ableiten und die Technologien zur Emissionsreduktion
existieren bereits. Klima bietet damit einen erprobten Ausgangspunkt – mit
klaren Metriken, validierten Standards und hoher Anschlussfähigkeit für
Unternehmen. In anderen Bereichen – etwa Biodiversität oder Wasser – ist die
Lage oft diffuser: Weniger Daten, weniger Standards, dafür mehr lokale
Komplexität. Das gleiche gilt
für soziale Aspekte in der Lieferkette wie Arbeitssicherheit oder Kinderarbeit.
Was überzeugt dich grundsätzlich am Donut-Konzept?
Wirtschaften basiert auf funktionierenden Ökosystemen – fruchtbaren Böden,
sauberem Wasser, stabilem Klima. Der jährliche Wert dieser Leistungen wird auf
über 125 Billionen US-Dollar geschätzt – mehr als das globale BIP. Die
Forderung, innerhalb planetarer Grenzen zu bleiben, ist daher keine Ideologie,
sondern ökonomisch zwingend und betriebswirtschaftlich klug. Der Donut macht
diese Abhängigkeiten sichtbar – und überführt sie in strategisches Denken.
Gleichzeitig erinnert er daran, dass wirtschaftlicher Erfolg nur dann legitim
ist, wenn auch die sozialen Grundbedürfnisse aller Menschen erfüllt werden. In
Bezug auf die globalen Lieferketten bedeutet das beispielsweise, dass neben den
Umweltbedingungen auch faire Arbeitsbedingungen für die Menschen in
Produktionsländern mit zu berücksichtigen sind.
Wie weit sind Schweizer Unternehmen in Bezug auf Donut
Economics?
Im Klimabereich sind viele Unternehmen gut unterwegs – insbesondere bei den
eigenen Betrieben und Fahrzeugflotten (Scope 1) oder dem eingekauften Strom
(Scope 2). Der erneuerbare Schweizer Strommix hilft dabei. In der Lieferkette
(Scope 3) sieht das Bild ganz anders aus; hier stehen viele Unternehmen noch am
Anfang. Beispielsweise in der Landwirtschaft oder dem Abbau von Rohstoffen
besteht noch erheblicher Nachholbedarf – ebenso bei sozialen Themen. Der Donut
hilft, die zentralen Hebel zu erkennen und gezielt anzugehen.
Brancheninitiativen sind dabei entscheidend: Je näher man an die Rohstoffe
kommt, desto ähnlicher werden die Herausforderungen – auch wenn viele
Unternehmen denken, sie seien einzigartig.
Was sind die grössten Herausforderungen – und wie hilft
der Donut?
Die grössten Hürden sind beim Klima die systematische Integration von Scope 3,
die Transformation bestehender Geschäftsmodelle und die Einbindung von
Naturthemen wie Wasser und Biodiversität. Gleichzeitig fehlt oft ein
strukturierter methodischer Rahmen. Der Donut schafft hier Orientierung: Er ist
anschlussfähig an bestehende Standards wie SBTi oder die CSRD (europäische
Anforderung zu Nachhaltigkeit) mit der doppelten Wesentlichkeit (bei welcher Unternehmen sowohl ihre Auswirkungen auf die
Gesellschaft und die Umwelt als auch die Auswirkungen der Gesellschaft und der
Umwelt auf das Unternehmen bewerten). Dieser Fokus auf die Themen,
welche für das Unternehmen wirklich wesentlich sind, hilft, die richtigen
Prioritäten zu setzen. Denn die Herausforderungen sind komplex und benötigen
Ressourcen. Diese sollen dort eingesetzt werden, wo die Wirkung am grössten
ist.
Welche Rahmenbedingungen braucht es aus deiner Sicht?
Es braucht gezielte Anreize und
klare Regulierungen – von der Erfassung der Daten, über die Ambition in der Zielsetzung
bis zur zeitnahen Umsetzung von griffigen Massnahmen. Viele dieser
Herausforderungen sind branchenübergreifend. Deshalb ist es ineffizient,
wenn Unternehmen sie isoliert angehen. Entscheidend ist das Gespür, was
gemeinsam und was individuell gelöst werden muss – und das möglichst früh.
Ebenso zentral ist, dass soziale Mindeststandards global verankert werden – vom
existenzsichernden Lohn bis zum Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung.
Denn soziale Instabilität ist langfristig genauso geschäftsschädigend wie
Umweltkrisen.
Wie lebst du persönlich nach dem Donut-Prinzip?
Ich lebe bewusst, aber nicht perfekt. Ich achte auf meinen Konsum und versuche, durch mein Verhalten zu
motivieren, ohne zu moralisieren. Perfektion ist nicht das Ziel – Haltung
schon. Mir ist klar, dass mein Lebensstil nicht vollständig innerhalb der
planetaren Grenzen liegt – das ist im heutigen System kaum möglich. Entscheidend
ist, Verantwortung zu übernehmen – Schritt für Schritt. Jede Entscheidung zählt
– und je mehr wir verstehen, was hinter einem Produktpreis steckt, desto
fundierter können wir handeln. Günstige Preise sind oft ein Trugschluss, denn
der wahre Preis wird oft andernorts bezahlt – von den Menschen, die in Fabriken
ausgebeutet werden oder den zukünftigen Generationen, die durch die Zerstörung
von Ökosystemen eingeschränkt werden.
Herzlichen Dank, Christian, für das Interview!
Bild: generiert von Chat GPT. Die Personen auf dem Bild entsprechen nicht der
Realität!