Doughnut Economics & Science-Based Targets

11. April 2025 durch
Swiss Donut Economics Network, Jasmin Khalifa

Unser Kerngruppen-Mitglied Jasmin Khalifa beleuchtet mit Christian Etter, Experte für Klimaschutz, wie wissenschaftlich fundierte Klimaziele der erste Schritt in Richtung Doughnut Economics sein können.

Christian Etter hat sich nach dem HSG-Studium auf Corporate Sustainability fokussiert und ist seit mehreren Jahren als Experte für Klimaschutz tätig. Zuletzt hatte er bei der Migros wissenschaftlich fundierte Klimaziele entwickelt und diese durch die Science-Based Target Initiative (SBTi) validieren lassen. Diese Ziele markieren gemäss Christian einen konkreten Schritt im Umgang mit den planetaren Grenzen – und stehen in engem Zusammenhang mit den Prinzipien von Doughnut Economics. Wir freuen uns, von Christian zu hören, wie er die Verbindung zwischen diesen Konzepten sieht – und was Unternehmen aus seiner Sicht tun können, um innerhalb ökologischer und sozialer Grenzen zu wirtschaften – mit einem klaren und machbaren Einstiegspunkt.

Christian, welchen Bezug hast du zum Donut – und wie beeinflusst das Modell dein Denken?
Der Donut ist für mich der Orientierungsrahmen, um wirtschaftliche Entwicklung mit ökologischen und sozialen Zielsystemen zu verknüpfen. Er konkretisiert die Triple Bottom Line – also die ökologische, soziale und wirtschaftliche Verantwortung eines Unternehmens – und liefert alle relevanten Kriterien. So beispielsweise zum Klima, wofür es wiederum wissenschaftlich basierte Klimaziele gibt. Sie zeigen, wie viel CO₂ ein Unternehmen bis zu klar definierten Meilensteinen noch ausstossen darf, um mit dem Pariser Abkommen kompatibel zu bleiben. Bei der Migros habe ich solche Ziele entwickelt. Daraus lässt sich ableiten, wie viele Emissionen 2030 und 2050 noch ausgestossen werden dürfen. Dank dieser klaren Absenkpfade können wir heute schon relativ konkret beschreiben, wie Geschäftsmodelle künftig aussehen müssen – etwa mit pflanzenbasierten Sortimenten im Food-Bereich oder durch Kreislaufschliessung in der Elektronik. Das macht die eher komplexe Thematik greifbar.

Warum ist gerade der Klimabereich ein guter Startpunkt?
Weil wir hier eine solide Datengrundlage, eine gemeinsame Währung (alle klimaschädlichen Treibhausgase werden in CO₂-Äquivalente umgerechnet) und praxistaugliche Methoden haben. Die Zielsetzung lässt sich global aus dem verbleibenden CO₂-Budget ableiten und die Technologien zur Emissionsreduktion existieren bereits. Klima bietet damit einen erprobten Ausgangspunkt – mit klaren Metriken, validierten Standards und hoher Anschlussfähigkeit für Unternehmen. In anderen Bereichen – etwa Biodiversität oder Wasser – ist die Lage oft diffuser: Weniger Daten, weniger Standards, dafür mehr lokale Komplexität. Das gleiche gilt für soziale Aspekte in der Lieferkette wie Arbeitssicherheit oder Kinderarbeit.

Was überzeugt dich grundsätzlich am Donut-Konzept?
Wirtschaften basiert auf funktionierenden Ökosystemen – fruchtbaren Böden, sauberem Wasser, stabilem Klima. Der jährliche Wert dieser Leistungen wird auf über 125 Billionen US-Dollar geschätzt – mehr als das globale BIP. Die Forderung, innerhalb planetarer Grenzen zu bleiben, ist daher keine Ideologie, sondern ökonomisch zwingend und betriebswirtschaftlich klug. Der Donut macht diese Abhängigkeiten sichtbar – und überführt sie in strategisches Denken. Gleichzeitig erinnert er daran, dass wirtschaftlicher Erfolg nur dann legitim ist, wenn auch die sozialen Grundbedürfnisse aller Menschen erfüllt werden. In Bezug auf die globalen Lieferketten bedeutet das beispielsweise, dass neben den Umweltbedingungen auch faire Arbeitsbedingungen für die Menschen in Produktionsländern mit zu berücksichtigen sind.

Wie weit sind Schweizer Unternehmen in Bezug auf Donut Economics?
Im Klimabereich sind viele Unternehmen gut unterwegs – insbesondere bei den eigenen Betrieben und Fahrzeugflotten (Scope 1) oder dem eingekauften Strom (Scope 2). Der erneuerbare Schweizer Strommix hilft dabei. In der Lieferkette (Scope 3) sieht das Bild ganz anders aus; hier stehen viele Unternehmen noch am Anfang. Beispielsweise in der Landwirtschaft oder dem Abbau von Rohstoffen besteht noch erheblicher Nachholbedarf – ebenso bei sozialen Themen. Der Donut hilft, die zentralen Hebel zu erkennen und gezielt anzugehen. Brancheninitiativen sind dabei entscheidend: Je näher man an die Rohstoffe kommt, desto ähnlicher werden die Herausforderungen – auch wenn viele Unternehmen denken, sie seien einzigartig.

Was sind die grössten Herausforderungen – und wie hilft der Donut?
Die grössten Hürden sind beim Klima die systematische Integration von Scope 3, die Transformation bestehender Geschäftsmodelle und die Einbindung von Naturthemen wie Wasser und Biodiversität. Gleichzeitig fehlt oft ein strukturierter methodischer Rahmen. Der Donut schafft hier Orientierung: Er ist anschlussfähig an bestehende Standards wie SBTi oder die CSRD (europäische Anforderung zu Nachhaltigkeit) mit der doppelten Wesentlichkeit (bei welcher Unternehmen sowohl ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Umwelt als auch die Auswirkungen der Gesellschaft und der Umwelt auf das Unternehmen bewerten). Dieser Fokus auf die Themen, welche für das Unternehmen wirklich wesentlich sind, hilft, die richtigen Prioritäten zu setzen. Denn die Herausforderungen sind komplex und benötigen Ressourcen. Diese sollen dort eingesetzt werden, wo die Wirkung am grössten ist.

Welche Rahmenbedingungen braucht es aus deiner Sicht?
Es braucht gezielte Anreize und klare Regulierungen – von der Erfassung der Daten, über die Ambition in der Zielsetzung bis zur zeitnahen Umsetzung von griffigen Massnahmen. Viele dieser Herausforderungen sind branchenübergreifend. Deshalb ist es ineffizient, wenn Unternehmen sie isoliert angehen. Entscheidend ist das Gespür, was gemeinsam und was individuell gelöst werden muss – und das möglichst früh. Ebenso zentral ist, dass soziale Mindeststandards global verankert werden – vom existenzsichernden Lohn bis zum Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung. Denn soziale Instabilität ist langfristig genauso geschäftsschädigend wie Umweltkrisen.

Wie lebst du persönlich nach dem Donut-Prinzip?
Ich lebe bewusst, aber nicht perfekt. Ich achte auf meinen Konsum und versuche, durch mein Verhalten zu motivieren, ohne zu moralisieren. Perfektion ist nicht das Ziel – Haltung schon. Mir ist klar, dass mein Lebensstil nicht vollständig innerhalb der planetaren Grenzen liegt – das ist im heutigen System kaum möglich. Entscheidend ist, Verantwortung zu übernehmen – Schritt für Schritt. Jede Entscheidung zählt – und je mehr wir verstehen, was hinter einem Produktpreis steckt, desto fundierter können wir handeln. Günstige Preise sind oft ein Trugschluss, denn der wahre Preis wird oft andernorts bezahlt – von den Menschen, die in Fabriken ausgebeutet werden oder den zukünftigen Generationen, die durch die Zerstörung von Ökosystemen eingeschränkt werden.

Herzlichen Dank, Christian, für das Interview! 


Bild: generiert von Chat GPT. Die Personen auf dem Bild entsprechen nicht der Realität!