Börsenschwankungen oder Naturkatastrophen – was ist wirklich extrem? Ion Karagounis regt zum Denken an
In seinem Gastbeitrag in der NZZ spricht Ion Karagounis, verantwortlich für neue Wirtschaftsmodelle und Zukunftsfragen beim WWF Schweiz, eindringlich über die Notwendigkeit, unsere Lebensgrundlagen zu schützen. Er zieht eine interessante Parallele zwischen den Schwankungen an den Börsen und extremen Wetterereignissen in der Natur. Während die finanziellen und oft kurzfristigen Schwankungen der Aktienmärkte oft sprachlich dramatisiert werden und sehr viel Aufmerksamkeit bekommen, erscheinen Naturkatastrophen und das Artensterben als „normal“ – obwohl dort das wahre Extrem zu finden ist.
Karagounis hebt hervor, dass Unternehmen zwar über das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit sprechen, in Realität das Gleichgewicht der ökonomischen, ökologischen und sozialen Entwicklungen jedoch nicht gegeben ist. Beispielsweise habe sich das BIP seit 1980 verzehnfacht, während die natürlichen Produktionsgrundlagen stetig sinken. Er weist zudem darauf hin, dass dieses Drei-Säulen-Modell in der Fachwelt zunehmend als veraltet betrachtet wird. Stattdessen gewinnt die Donut-Ökonomie gemäss Karagounis mehr Anerkennung. Bezogen auf die Wirtschaft hebt er hervor, dass ihr Funktionieren gefährdet ist, wenn wir uns ausserhalb der planetaren Grenzen bewegen.
Karagounis meint, dass mit wachsendem Verständnis und der tatsächlichen Umsetzung dieses Modells sich unsere Sprache und unser Denken verändern werden. Der Schutz der Artenvielfalt und die Einhaltung der planetaren Grenzen sollten aus seiner Sicht zur selbstverständlichsten Sache der Welt werden.
Der Donut gibt den planetaren Grenzen eine Stimme und ein Bild
Ich fühle mich sehr abgeholt in der Beobachtung des Autoren, dass unsere Aufmerksamkeit oft zu stark auf kurzfristige und scheinbar akute Themen gerichtet ist, während langfristige Herausforderungen, wie die Klima- oder Biodiversitätskrisen, die in Wahrheit viel dringender sind, oft in den Hintergrund treten. Ein aktuelles Beispiel: Der neue Living Planet Report vom WWF, der im Oktober 2024 publiziert wurde zeigt, dass die untersuchten Wildtierbeständ in den letzten 50 Jahren Durchschnitt um 73% geschrumpft sind. In den gängigen Schweizer Wirtschaftsmedien lese ich nichts darüber. Fehlt der Wirtschaft das Bewusstsein dafür, dass der Biodiversitätsverlust auch die wirtschaftliche Stabilität gefährdet?
Haben wir als Gesellschaft noch nicht verstanden, dass unsere Lebensgrundlage darauf basiert, die planetaren Grenzen zu respektieren? Was braucht es, um die zugegebenerweise komplexen Informationen diesbezüglich so bewerten zu können wie Börsenzahlen, um entsprechend rasch ins Handeln zu kommen?
Die Donut-Ökonomie kann genau hier helfen. Sie schafft einen
Rahmen, der das Wohlergehen von Menschen und Umwelt in den Mittelpunkt rückt
und dabei den planetaren Grenzen eine Stimme verleiht. Mit ihrer bildhaften
Sprache erklärt uns die Donut-Ökonomie auf eine einleuchtende Weise, wie ein
gutes Leben für alle innerhalb der planetaren Grenzen möglich ist – und genau
das könnte dazu beitragen, die Dringlichkeit der Klimakrise besser zu verstehen
und entsprechend zu handeln.
Hier gehts zum Artikel von Ion Karagounis.
Foto: Ylvers, Pixabay